2019.09.19 Auf nach Norden

Schon seit einigen Tagen kündigt sich eine der spannendsten Wetterlagen an, die Patagonien zu bieten hat. Der Polarjet vereinigt sich mit dem Subtropenjet und erlaubt damit raumgreifende Flüge vom tiefsten Süden Argentiniens bis in den hohen Norden. Auch die Feuchte, die so manchen Flug verhindert, scheint sich in Grenzen zu halten. Die kräftige Südkomponente des Polarjets reicht bis weit in den Norden und kommt als Bonus ­­­­­dazu. Einziger negativer Faktor ist die noch zu wenig verfügbare Tageszeit für einen wirklich großen Flug geradeaus. Trotzdem, wer nichts wagt, der nichts gewinnt. Unser Flugplan sieht eine Landung in Rioja vor. Knapp 2500 km in knapp 13 Stunden, naja, ambitioniert.

Der Flugplan wird bereits am Vortag aufgegeben. Die Überfluggenehmigung für Chile ist bequem im Internet zu erstellen. Trotz frühem Aufstehen schaffen wir es erst kurz nach Sonnenaufgang in die Luft zu kommen. Der geplante Abflug im Lee des Massifs südöstlich des Perito Moreno-Gletschers fällt wegen mangelnder Sichtflugbedingungen flach. Die Berge östlich des Upsalla-Gletschers bilden offensichtlich eine schöne Welle aus, aber auch hier ist im unteren Bereich fast keine Sicht. Wir steigen auf über 3700 m, bevor wir endlich konstantes Steigen antreffen. Dafür ist jetzt eine schöne Linie zu erkennen, die  im Westteil des Lago Viedma und im flachen Bogen über den gleichnamigen Gletscher in das Campo de Hielo führt. Westlich von dem in Wolken gehüllten Fitzroy rasen wir über den Lago San Martin mit heftigem Sinken, aber fast 400 km/h GS auf eine schöne Lenti zu. 4 m Steigen lassen den rasanten Absturz schnell wieder vergessen. Schon geht es weiter im zügigen Gleiten mit Geschwindigkeiten, die immer wieder  deutlich über der 300 km/h-Marke liegen.

Lago Viedma

Eine mächtige Lenti südlich des Lago Belgrano zieht uns geradezu magisch an. Nach dem Gleitflug über 80 km belohnt sie uns mit bis zu 6 m/s. Mühelos können wir unsere verlorene Höhe im Geradeausflug wieder gutmachen. Schon ist das nächste Wolkenmonster in Sicht. Über dem Lago Puerreydon steigen wir sozusagen in bester Lage mit Blick auf den See. Rechts von uns eine Sinfonie in Grauweiß, links unten das Tiefblau des Sees, den wir in nahezu voller Länge abfliegen, Ästhetik pur.

Doch schon lockt ein weiteres Highlight. Nach der Wellenlinie westlich des Monte Zeballos fliegen wir ohne anzuhalten direkt zum Lago Buenos Aires. Der riesige See wartet durch seine unterschiedlichen Zuflüsse mit einer einzigartigen Farbenpracht auf, die zwischen Tiefblau, braungelb und Türkisgrün variiert und vermutlich nur aus der Vogelperspektive so zu geniessen ist. Wir habe allerdings auch genug Zeit uns das Naturspektakel anzusehen, denn Balmaceda Tower schickt uns für 15 Minuten ins „Holding“ aufgrund eines Jets, der gerade am Start auf dem Weg für einen Flug nach Süden ist.  Gut daß da gerade passend eine schwache Welle stand. Nach der Warteschleife werden wir an Puerto Montt Radar verwiesen. „No traffic reported“, und damit kein Problem für den Weiterflug im chilenischen Luftraum.

Wie schon von vielen Flügen bekannt gibt es erstmal wieder einen langen Gleitflug nach der guten Welle südlich von Balmaceda. Man könnte auch sagen eine Zitterpartie. 120 km ohne einen nennenswerten Aufwind. Erst am Lago Fontana kriegen wir wieder Anschluß in 2700 m. Nach einem weiteren ebenso langem Gleitflug vorbei am Lago General Winter erwartet uns die hervorragend Welle von Corcovado. Mit 6 m /s katapultiert sie uns wieder auf komfortablere Höhen. Von jetzt an erwarte ich wieder bessere Aufwindreihungen. Westlich von Esquel gleiten wir über El Maiten bis südlich von Bariloche. Leider ist es hier wieder ziemlich feucht. Der übliche Weg direkt über den Flughafen ist dicht, die freundliche Dame auf dem Tower möchte uns aber nicht im etwas trockeneren Anflugsektor haben. Nach einem kurzem Kartenstudium und dem Blick nach Osten, wo langgezogene Wellenbänder in der Ebene stehen, unterbreite ich den Vorschlag weit im Osten außerhalb des Terminals nach Norden zu fliegen. Nach einigem Zögern bekomme ich die gewünschte Freigabe und wir machen uns auf den Weg. Und die Wolkenbänder enttäuschen uns nicht. Über den Flugplatz von Piedra del Aguila surfen wir unter Ezeiza Control ohne Zeitverzug nach Norden. Schon von weitem ist die Rennstrecke der Catanlilberge an ihren mächtigen Rotorbändern zu erkennen. Bei dieser Optik gibt es kein Halten mehr. 370 km geradeaus, nur kurzes Eindrehen gegen den Wind, wenn das Steigen mal besonders stark wird. Westlich von Zapala  rasen wir mit beständigem Steigen die riesige Wolkenwalze entlang.  Das Tal des Agrio zeigt sich von seiner besten Seite. Die Schnittgeschwindigkeit ist auf über 180 km/h angestiegen.

Am nördlichen Ende unserer Wolke freue ich mich schon auf den Sprung in die Cordillera de Viento. Nordwestlich von Chos Malal steht hier normalerweise die beste Welle des mir bekannten Andengebirges. Normalerweise! Im Taumel der Geschwindigkeit übersehe ich einige Warnzeichen. Über dem Kamm des Gebirgszug stehen einige Wolken , die sehr konvektiv aussehen. Im Lee ist es blau. Der Wind ist deutlich schwächer, und damit auch die Wellenlänge. Trotzdem fliege ich direkt zu einigen flauen Wolkenfetzen, die viel zu weit im Lee stehen. Das Steigen ist ziemlich mager. Darüber hinaus schwimmen die Wölkchen immer wieder weg. Aber mit 4000 m fliegt man einfach nicht in das wilde Relief um den Rio Grande. 45 Minuten trete ich auf der Stelle. Der „Flow“ ist dahin. Schlußendlich besinne ich mich auf die simple Faustformel von Robert Prat. Windgeschwindigkeit/10 = Wellenlänge. Nach unserer Windmessung sollten das 7 km sein. Ich fliege in das blaue Lee der Cordillera de Viento. Die Entfernungskreise des LX 9000 im Auge. Und in der Tat, In ca. 7 km Entfernung vom Relief wird das Vario lebendig. Mit konstanten 2 m/s steigen wir auf  knapp 6000 m und fliegen endlich weiter in Richtung des Vulkans Domuyo. Eine Zeitlang funktioniert das Fliegen mit dem ungefähren Abstand zum Relief. Als dann aber wieder heftiges Sinken eintritt, orientiere ich mich wieder an den recht gut aussehenden Wolken im nördlichen Teil des Barrancatals. Leider schwimmen auch diese immer wieder leewärts weg und mein Vorhaltewinkel reicht nicht aus, um an den vermutlichen Rotorkopf zu kommen. Trotz der relativ niedrigen Höhe versuche ich an die westliche Kante der Wolke zu kommen. Der Versuch schlägt fehl. Es wird Zeit an die Landung zu denken. Wir machen einige Hundert Meter in einem offensichtlich thermischen Steigen, gerade hoch genug, um über einen flachen Pass in das nächste Tal nach Norden zu schlüpfen. Hier haben wir zwei Optionen. Entweder in das gewaltige Tal des Rio Grande nach Osten abzufliegen mit einem recht hohen Pass vor unserem Alternate Malargue. Oder eine hohe Rippe im Hangwind nach Norden zu surfen und damit unseren Anflugwinkel zu verbessern. Das Hochtal links davon sieht allerdings alles andere aus, als für eine Notlandung geeignet. Vorsichtig taste ich mich an den Hang heran. Er trägt.

Wir informieren Mendoza Control über unsere Absicht in Malargue zu landen. Der Controller informiert uns , daß  der Platz bereits geschlossen sei. Kurze Zeit später kommt die Meldung, daß wir erwartet würden und die Information über das Platzwetter. Wind genau quer zur Bahn mit  böigen 20 kt. Wir haben mittlerweile unsere Endanflughöhe ersurft. Trotzdem immer wieder etwas unheimlich in etwa 500 m über Grund den langen flachen Hang mit gleichmäßigem Sinken nach Malargue zu gleiten. Den Anflug auf die lange Piste muß ich mit einem erheblichen Vorhaltewinkel fliegen und die Landung gestaltet sich sportlich. Beim zügigem Ausrollen muß ich sogar kurz die rechte Fläche auflegen, um die Bahn nicht nach links zu verlassen. Auf dem Rollfeld erwartet uns ein Empfangskomittee von Polizei und Flughafenangestellten. Alle freuen sich. Klaus ist wieder mal da….

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