Wieder mal Frühstart – das übliche Ritual. Einchecken am Flughafen, Flugplan, Flieger losbinden, einladen, los geht’s. Leider deutlich später, als geplant. Zahlreiche Zeitfresser, ob selbst- oder unverschuldet kosten ihren Tribut. Der Wind ist ziemlich stark und wir brauchen fast eine halbe Stunde Motorlaufzeit, bevor wir den ersten vernünftigen Wellenaufwind finden.
Es ist vermutlich die zweite Schwingung, die erste liegt nicht nutzbar in den Schneefahnen westlich von uns. Auffällig sind auch die rasch leewärts treibenden, immer wieder neu entstehenden Rotorbällchen. Gepaart mit hoher Labilität und relativ rascher Windzunahme mit der Höhe, machen sie es schwer, den Anschluss an die laminare Strömung zu finden. In 4.000 m sind bereits 112 km/h zu messen. Entsprechend vorsichtig surfen wir über den Lago Argentino, immer sorgfältig beobachtend, wo sich die Geburtsstätte der zerfaserten Rotorwölkchen befindet. Bei dem tastenden, langsamen Surfen, ist natürlich ein relativ großer Vorhaltewinkel nötig. Entsprechend langsam geht es voran. Die Steigwerte sind eher moderat zwischen 2 und 3 m/s, der Wind in 6.000 m WSW mit 126 km/h.
Wir überqueren den Lago Viedma in einem Satz und werfen uns mutig über das nördlich gelegene Relief in den nächsten See, den Lago San Martin, oder auch Lago O’Higgins. Der vermutete Aufwind wartet mit knapp 5 m/s Sinken auf und in Nullkommanichts können wir die in sattem Grün heraufschimmernde Wasserfläche aus größerer Nähe bewundern, als uns lieb ist. Nun, wo‘s so runtergeht, muss es auch irgendwo wieder raufgehen, zumindest theoretisch. Und in der Tat, nach einigem Tasten finden wir etwas weiter westlich einen leider eher schwachen Lift, der uns aber immerhin Zeit zum Überlegen gibt. Die relativ feuchte Luft mit reichlich Bewölkung hat den Vorteil, mit rotierenden Walzen und wolkenfreien Zonen dem kundigen Auge wertvolle Hinweise zu geben. Im nordöstlichsten Arm des tiefsten Sees Südamerikas fräsen wir entlang einer mächtigen Wolkenwalze mit bis zu 4 m Steigen nach Norden. Kurz vor dem am chilenischen Ufer gelegen Flugplatz Rio Mayer queren wir in das Lee der Sierra de Sangra und gleich weiter in das Tal des Lago Belgrano. Schlagartig ist wieder Schwung in einen eher behäbigen Streckenflug gekommen. Langgezogene Steigbänder, rasche Querungen der stark sinkenden Luftmassen im Lee mit hohen Geschwindigkeiten über Grund. Das ist die Grundlage für die raumgreifenden Streckenflüge, die nur in der Welle möglich sind.
Der nächste See, die nächste Linie. Das massive Rotorband katapultiert uns mit bis zu 5 Sekundenmetern nördlich des Lago Pueyrredón ohne Zeitverlust wieder auf 6.000 m. Die Aussicht nach Norden ist grandios. Westlich des Monte Zeballos steht eine gigantische Wolkenfestung und wir surfen mit Hochgenuss nach Norden Richtung Chile Chico. Hier fliegen wir in den Luftraum von Chile ein, natürlich nicht ohne vorherige Genehmigung durch Balmaceda Control. Leider hatte ich nur mein Flugzeug per Internet zum Überflug angemeldet. Thomas darf nicht durch das Terminal von Balmaceda. Die Frage nach einer Trennung unserer Formation stellt sich nicht. Ich melde mich bei Puerto Montt Radar wieder ab und wir machen uns wieder auf den Rückweg. Kein allzu großes Bedauern, wir sind eh etwas zu spät und der Wind soll im Tagesverlauf deutlich mehr Südkomponente haben. Hier braucht es etwas mehr Reservezeit für eventuelles „Basteln“.
Der tiefe Süden ist mir bei weitem nicht so vertraut, wie die nördlicheren Gefilde der Cordillera. Darüber hinaus sind die Abstände von erreichbaren Flugplätzen erheblich und die Landschaft ist in weiten Teilen eher als Offroad-Terrain zu bezeichnen. Doch zunächst geht es zügig den gleichen Weg wieder zurück. Allerdings müssen wir jetzt die diversen Gebirgsstöcke aus dem Lee gegen den Wind überqueren, was erheblich schwieriger ist als umgekehrt. Südlich des Lago Pueyrredón gelingt uns das durch ein schräges Aufwindband noch ganz gut. Die Reihung entlang des Rio Belgrano klappt auch recht gut. Mittlerweile ist es ganz gemäß der Vorhersage ziemlich abgetrocknet. Nur an der ersten Linie stehen die wertvollen Anzeichen für Aufwinde in Form der bekannten Rotorwalzen. Nach der Belgrano-Welle geht es in einem gefühlt ewigen Gleitflug in das Tal des Rio Carbon genau gegen den starken Wind. Das Relief im Norden verspricht mit einer riesigen rotierenden Wolke guten Aufwind. Trotzdem hole ich etwas nach Süden aus. Zu oft musste ich am Ende eines Bergstocks heftige Abwinde erleben. Und auch hier ist am Talboden auf den Seen ein kräftiger böiger Nordwind zu erkennen, der bei niedrigem Anflug an die vermeintlich rettend Wolke zu einer raschen Außenlandung führen kann. Ich habe weit genug ausgeholt. In 2.500 m fliegen wir vorsichtig an die am Luv Hang aufliegende Walze und werden mit konstanten 4 m Steigen belohnt. Wieder können wir schräg über das nächste Relief rutschen und sind wieder im Lago San Martin. Die schöne Welle hat sich etwas verlagert, spendet aber immer noch einen zuverlässigen Aufwind bis 6.000 m.
Der Plan für den Weiterflug macht jedoch einiges Kopfzerbrechen. Im Westen bestünde die Möglichkeit in das langgezogene Tal nach Chaltén Richtung Fitz Roy zu fliegen. Was aber, wenn dort kein Aufwind oder gar Sinken angetroffen wird und dann in der Talachse Gegenwind durch die auffrischende Südkomponente herrscht? Unter diesen Umständen einen mir unbekannten Weg auszuprobieren? No way!
Ich entscheide Richtung Calafate abzufliegen. In satten 4 m Sinken schmilzt die Höhe dahin. Nicht nah genug an die Berge geflogen, oder zu nah? Who know’s. Fakt ist, dass es langsam Zeit wird, sich nach anderen Alternativen als externen Aufwindhilfen umzuschauen. Doch die Rotaxthermik in unserem Rücken steckt noch in tiefstem Winterschlaf. Zunächst muss dieser Bär vorsichtig durch die Temperaturen in niedrigeren Höhen geweckt werden. Am Talausgang des San Martin hängen wir uns an ein flaches Plateau mit lausigem Steigen. Der Wind bläst hier unten als NW wieder in der Talachse und damit fast parallel zum Hang. Aber es trägt. Die lange Straße unter uns liegt genau in der Windachse und dient uns als Landemöglichkeit für den Fall der Fälle. Alle Lüftungen sind auf, um unseren Motor von den minus 25 Grad auf wohligere Temperaturen aufzuwärmen. Wohlig ist vielleicht etwas übertrieben, denn minus 3 Grad sind ja nicht gerade warm. Nach angemessener Zeit erfolgt der Startversuch und, Uff, es hat geklappt. Bei beiden Fliegern laufen die Motoren an und kommen ganz langsam auf Betriebstemperatur. Die restlichen 70 km nach Calafate sind rasch zurückgelegt. Die Landung bei moderaten 20 kt ist Formsache.
Fazit: Nicht immer klappt es , so wie man’s gerne hätte….dennoch, sich blind auf einen Motor zu verlassen lönnte letztlich fatale Folgen haben!